In meinem Blogpost über mein neues Projekt „Ungeschminkt!“ hatte ich bereits geschrieben, dass ich jedes Fotos bearbeite. Jedes! Aber warum? Und warum kann ich nicht mit dem zufrieden sein, was meine Kamera mir gibt? Die Puristen sind ja fest davon überzeugt, dass jegliche Nachbearbeitung unnötig ist. Das wäre nicht authentisch, manipulativ. Da sage ich nur – Blödsinn!
Analoge Fotografie
Schaut man mal ein wenig zurück (ist ja gar nicht so lange her) in die Analog-Fotografie, als es die digitalen Kameras und Photoshop noch nicht gab, da war es völlig normal und absolut notwendig, dass man sich vor der Aufnahme ein paar Gedanken machen musste! Es fing an mit der Wahl des Filmes. Schwarz-Weiß oder farbig? Welche ISO Zahl? Welche Marke/Art? All diese Faktoren, die wir heute teilweise vielleicht als „Filter“ oder „Effekt“ kennen, gehörten zu der Zeit einfach zur Vorbereitung auf ein Fotoshooting dazu. Wenn ich zB bei schlechteren Lichtverhältnissen fotografieren musste, habe ich eben einen Film eingelegt, der eine höhere ISO Zahl hatte. Oder wenn ich damals ein Akt-Fotoshooting hatte, nahm ich bewusst den Ilford HP5 (ISO 400) und habe ihn meistens um ein oder zwei Blenden gepushed. Das hat dazu geführt, dass der Film grobkörniger und härter im Kontrast wurde, was wiederum der Haut schmeichelte und die Aktaufnahme dadurch eleganter wurde. Oder ich habe einen Farb-Diafilm eingelegt und diesen aber als Negativ-Film entwickeln lassen (cross). Dadurch wurden bewusst die Farben verfremdet. Je nach Filmtyp war das dann mehr oder weniger cool. Und je nach Labor, welches dann den Film entwickelt hat, gelungen oder versaut. Auch diese Cross-Entwicklung sieht man sehr häufig in der Effekt-Section von Apps wie Instagram und Co.
Analoge Dunkelkammer
Der nächste Schritt war dann die Dunkelkammer. Auch hier wieder musste man sich gut überlegen, welche Chemie ich bei welchem Film und für welches Endergebnis einsetzen musste. Ich weiß noch genau, wie ich mit dem anderen Lehrling bei uns im Betrieb über die verschiedenen Entwickler diskutiert habe. Dann ging es weiter mit der Auswahl des Papiers. Welche Gradation? Oder nehme ich ein Multigrade Papier? Und so weiter…
Klar habe ich dann bei der Entwicklung auch mein Bestes gegeben, damit das Foto genauso herauskam, wie ich es mir vorher vorgestellt hatte. Mit allen Tricks und Möglichkeiten, die uns damals zur Verfügung standen. Vom partiellen Nachbelichten oder Abwedeln (teilweise mit selbstgebastelten Masken) bis hin zur Retusche war alles dabei.
Unendlich viele Möglichkeiten
Wie ihr seht, gab es zu analogen Zeit jede Menge kleine Stellschrauben, an denen man drehen musste. Ja, musste! Denn ich konnte ja von den oben genannten Faktoren keines weglassen. Ich musste mich ja für einen Film, Papier, Chemikalie etc. entscheiden, sonst konnte ich kein Foto produzieren.
Und heute?
Was macht man heute? Viele gehen einfach hin und nehmen das Foto so, wie es die Kamera ausspuckt. Manche aus Faulheit, manche aus künstlerischer Überzeugung, dass sie absolute Puristen sind und das ganze Photoshop Gedöhns doch alles Fusch und Betrug sei. Da kann ich nur sagen – Blödsinn!
Digitale Dunkelkammer
Warum soll ich auf all die Details verzichten, die bei analoger Fotografie von Nöten waren (bzw. immer noch sind)? Warum soll ich mich einschränken und ein schlechteres Ergebnis abliefern? Warum soll ich mir plötzlich weniger Gedanken um das Ergebnis machen? Nur weil es nicht mehr notwendig ist, da ein digitales Foto in der Regel sofort anzusehen und nutzbar ist? Ich gehe heute auch noch in die Dunkelkammer. Aber diese ist eben nicht mehr mit Chemikalien bestückt und fast dunkel, sondern steckt in meinem Computer. Doch die Entwicklungsschritte sind letztendlich die gleichen geblieben. Oder sagen wir mal so: die Details, die ich mir für ein Foto überlege, sind die gleichen geblieben. Die Art der Umsetzung hat sich verändert, von analog zu digital. Doch das Ergebnis ist nahezu das Gleiche. Ich verändere die gleichen Parameter eines Fotos: Kontraste, Körnigkeit, Farbe, Helligkeit,… Da hat sich nichts geändert!
Es ist also nicht puristisch, wenn ich ein digitales Foto unverändert nutze. Es ist schlichtweg unvollendet. So, als wenn ich nur durch den Sucher der Kamera schaue, ohne abzudrücken.
Puristen existieren nicht
Wenn wir es mal genau betrachten, gibt es gar keine Puristen. Denn allein durch die Wahl der Kamera, Bildausschnitt und dem Moment des Auslösens, bearbeitet man ein Foto. Ein Foto ist niemals die Realität. Es ist ein Abbild dessen, was der Fotograf vor seinem inneren Auge sieht. Manipuliert allein durch dessen Wahrnehmungen und die daraus resultierenden Entscheidungen.
Keine Dunkelkammer, kein Foto!
Wer nach der Auslösung nicht weiterdenkt, hat kein Foto gemacht. Wird das Foto nicht entwickelt, existiert es nicht. Und deshalb solltest Du alle Fotos bearbeiten. Sonst hast Du keine Fotos!
4 Responses
Halle Anna,
ein sehr guter Blogpost mit interessanten Aspekten!
Ich bearbeite auch jedes Foto!
Viele Grüße
Christoph
Hallo Christoph,
danke für die Blumen. Und freut mich zu hören, dass du ebenfalls jedes Foto bearbeitest. So sollte es sein ?
Sonnige Grüße
Anna
Zu fotographieren ist schon ein wunderbares Erlebnis. Dann seine Bilder am Computer zu betrachten und auch schon mal eine Auswahl zu treffen, wieder wunderbar. Aber das Finale, das man sich ein Foto nimmt und sich überlegt wie man es zum leben erweckt, ist durch die Bearbeitung eine super Auseinandersetzung. Wie sind die Farben, wo ist der es mir wichtig wohin der Betrachter hinschaut? All das und noch viel mehr bringt mir persönlich eine noch tiefere Verbindung zu meinem Foto.
Danke für den tollen Artikel.
Gerne und danke für Dein Kommentar. Genau darum geht es. Sich mit dem Foto auseinander zu setzen. Und optimale Weise entsteht diese Auseinandersetzung bereits im Vorfeld. Zumindest versuche ich das in den meisten Fällen. Ich habe das fertige Foto vor meinem inneren Auge und muss dann „nur noch“ (haha) die einzelnen Schritte abarbeiten, um mein Ziel zu erreichen.