Das 5min-Stille-Portrait Experiment

Seit längerer Zeit geistert bei mir im Kopf eine Idee herum, welche ich schon immer mal ausprobiert haben wollte. Zugegeben, die Idee ist nicht neu. Vor einiger Zeit habe ich mal einen Artikel über einen Fotografen gelesen, welcher ein ähnliches Experiment gemacht hat. (Leider habe ich es versäumt, mir den Link zu speichern.) Das hatte mich damals so fasziniert, dass ich gestern auf dem BarCamp Bonn #bcbn22 endlich mal dazu gekommen bin, es auszuprobieren.

Aber was ist das 5min-Stille-Portrait?

Die Idee ist recht simpel: Ich habe 5 Minuten Zeit ein Portrait einer Person zu machen. In den 5 Minuten darf aber nichts gesagt werden. Gar nix! Weder ich als Fotograf noch mein Fotomodel. Klingt vielleicht erst einmal recht unspektakulär, ist aber irre spannend. Ich bin es gewohnt, wenn ich Menschen fotografiere, mit denen zu kommunizieren. Gerade bei Menschen, die ich nicht so gut oder gar nicht kenne, ist es immer eine Herausforderung, in kürzester Zeit eine Verbindung zu diesem aufzubauen, damit wir möglichst entspannt fotografieren können. Verkrampft das Model vor der Kamera, werden auch die Fotos dementsprechend verkrampft und unauthentisch. Umgekehrt, vergisst das Model die Kamera, treffen wir uns auf einer emotionalen Ebene und die Fotosession verläuft in der Regel super.

Aber was, wenn ich nicht reden darf? Was, wenn ich genau das, was ich bisher immer gemacht habe, nicht erlaubt ist? Wie wird dann die Fotosession? Was für Fotos entstehen dann? Und wie fühlt sich das für beide Seiten an? Genau diesen Fragen sind wir gestern auf dem BarCamp nachgegangen. Die Ergebnisse waren faszinierend. Wir haben zwei Runden gemacht, in denen sich jeweils 2 Teilnehmer:innen zusammenschlossen und das Experiment durchführten. Kurz überlegt, wo und was für eine Art von Portrait gemacht wird (HeadShot, Ganzkörper, etc.) und dann ging es los. Timer auf 5 Minuten und die Stille kehrte ein. Die meisten fotografierten mit ihrem Smartphone, so dass auch keine Auslösergeräuche zu hören waren. Einfach nur Stille.

Wenn nicht gesprochen werden darf, dann ist non-verbale Kommunikation gefragt.

Bewusstsein

Klar, es müssen sich beide Seiten natürlich darauf einlassen, sonst funktioniert das nicht. Aber das erstaunliche war, dass es für beide Seiten im ersten Moment merkwürdig war, aber nicht im negativen Sinne. Es war nicht unbehaglich, sondern regte eher noch zu einer größeren Kreativität auf beiden Seiten an. Vielleicht etwas Unsicherheit, aber man wusste ja genau, dass das Gegenüber, egal ob Fotograf:in oder Model, genau das Gleiche mitmachte. In der ersten Runde wurde ich fotografiert. Das kommt ja eh nicht so oft vor, habe aber generell überhaupt kein Problem damit. Das Spannende für mich war dabei zu merken, wie ich viel bewusster bei der Sache war und selbst aktiver in der Rolle des Models mich verhalten habe. Ich musste mir selbst was überlegen, bekam ja keine Anweisungen. Also war ich so gesehen viel aktiver bei der Gestaltung beteiligt, als wenn ich durch eine:n Fotograf:in „gesteuert“ werde.

Nur einmal auslösen!

Die zweite Runde hatten wir noch etwas „verschärft“. Wieder 5 Minuten Zeit, aber dieses Mal war die Challenge, nur ein einziges Mal auf den Auslöser zu drücken. Ui… Das ist hart, gerade in der heutigen, digitalen Welt, in der die meisten sehr viel „drauf losknipsen“, eine sehr sehr große Herausforderung. Aber genau das ist es ja. Eben nicht erst mal direkt den Finger auf den Auslöser, sondern erst mal abwarten und mein Gegenüber beobachten. Studieren. Anschauen. Begreifen. Das ist sooooooo unfassbar wichtig. Ich muss als Fotograf erst einmal das begreifen, was ich fotografieren möchte. Ich muss verstehen, wie was funktioniert. Und das ist egal, ob es ein Mensch oder eine Maschine ist. Ich muss erstmal verstehen. Und dazu gehört auch das aktive beobachten.

„Jeder kann knipsen. Auch ein Automat. Aber nicht jeder kann beobachten. Photographieren ist nur insofern Kunst, als sich seiner die Kunst des Beobachtens bedient. Beobachten ist ein elementar dichterischer Vorgang. Auch die Wirklichkeit muss geformt werden, will man sie zum Sprechen bringen.“

Friedrich Dürrenmatt

Und genau das passiert dann auf einmal wieder. Durch die Challenge wird man dazu verdonnert, genau zu beobachten und DEN Moment abzupassen, der der richtige ist. Und auch hier sind beide Seiten gefordert. Denn das Model muss mir ja auch eine Möglichkeit geben, zu beobachten. Und genau das ist das mega spannende an diesem Experiment. Man macht das Foto gemeinsam. Als Paar. Als Team. Es ist ein Reflektieren über sich selbst, wie man gesehen werden will. Sich gegenseitig vertrauen und wieder zu lernen, zu beobachten. Genau hinzuschauen. Erstmal begreifen, dann abdrücken.

Mein Ergebnis der zweiten Runde. Eine Auslösung.
Mein Ergebnis der zweiten Runde. Eine Auslösung.

Habt Ihr auch schon mal so ein Experiment gemacht? Wie war das für Euch?

PS: Wenn ich noch ein paar Ergebnisse von gestern im Netz finde, werde ich sie hier ergänzen!

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